Spätsommer
Noch schenkt der späte Sommer Tag umTag
Voll süßer Wärme. Über Blumendolden
Schwebt da und dort mit müdem Flügelschlag
Ein Schmetterling und funkelt sammetgolden.
Die Abende und Morgen atmen feucht
Von dünnen Nebeln, deren Naß noch lau.
Vom Maulbeerbaum mit plötzlichem Geleucht
Weht gelb und groß ein Blatt ins sanfte Blau.
Eidechse rastet auf besonntem Stein,
Im Blätterschatten Trauben sich verstecken.
Bezaubert scheint die Welt, gebannt zu sein
In Schlaf, in Traum, und warnt dich, sie zu wecken.
Hermann Hesse, aus Gedicht „Spätsommer“
Und mich bitte auch nicht aufwecken! Dieser Spätsommer nach den weitgehend sehr wetterwendischen und nassen „Sommermonaten“ ist wie eine bezaubernd versöhnliche Geste – ja, wahrlich ein Traum!
Und wer möchte aus dieser süßen, sanften und wohltuenden Wärme schon verscheucht werden? Glänzt doch jetzt gerade alles im schönsten Licht!
Und ist es nicht ein unvergleichliches Licht? Nicht gleißend und aufdringlich, sondern sanft und hell, warm und beständig! Schon die Morgensonne in diesem „goldblauen Glasbläserblau“ wie es in einem Gedicht von Eugen Roth so schön heißt, ist wie ein Versprechen auf einen genüsslichen Tag.
Sinnlich und verführerisch kommt diese gelassene spätsommerliche Zeit daher mit verheißungsvollen Düften und überbordender Farbenpracht in der Natur. Es scheint als wollten sich alle Farben der Jahreszeiten lustvoll in einer fulminanten, temperamentvollen, Lebensfreude versprühenden Palette vermischen.
Und als betörende Zugabe umgarnen uns diese unwiderstehlichen Düfte von saftigem, reifen Obst, die das zauberhafte Füllhorn des Spätsommers mit unverwechselbaren Aromen verströmt.
Wenn das keine beglückenden Sinnesimpulse sind? Also bitte nicht unsanft wecken, denn ich liege noch mitten drin im herrlichen Farbkasten des Spätsommers, der mit seiner strahlenden, temperamentvollen Palette verzaubert.
Durch den sammetgoldenen Blätterbaldachin blinzelt ein freundlicher Sonnenstrahl, das zauberrote Kissen der Ahornblätter lockt zum sinnlichen Verweilen, während ein feines Gespinst feengrüner Gräser leise durch die Träume flüstert bis der nächste Morgen einen federleichten, silberblauen Tag begrüßt. Noch einmal können wir einen gelassenen Blick über das Land streifen lassen, die Natur lädt zum Überschauen ein.
Der laue, schmeichelnde Septemberwind bringt sanfte Bewegung ins wiegende Gras und sich neigende Bäume und lässt uns leise mit schweben. Ein letztes Mal mit den rosa überhauchten Herbstanemonen schaukeln, die prallen, wachsgelben Quitten bestaunen und die dicken, buschigen Farbkissen der Dahlien und Astern in ihrer verschwenderischen Pracht bewundern.
Aber was wäre der schöne Monat ohne seine kulinarische Opulenz?
Auch wenn es schwer fällt, aus der unglaublichen Gesamtkomposition des spätsommerlichen Angebotes eine Auswahl zu treffen, so steht für mich diese köstliche
FEIGENTARTE
(Rezept für Feigentarte siehe hier: poesieundpatina/rezepte/kuchenunddesserts)
für eine kleines genüssliches Fest.
Mit diesem feinen Leckerbissen, den du dir auf der Zunge zergehen lassen kannst, bedanke ich mich bei dir, du bezaubernder September „voll von süßer Wärme“, denn
„noch lacht der Tag, noch ist er nicht zu Ende,
noch hält und schmeichelt uns das Heut und Hier.“
Hermann Hesse, „Spätsommer“
Eine fulminante und genussvolle Zeit zwischen diesem schönen Spätsommer und Herbst wünscht euch
eure Evelyn
PS.: Es mag ja sein, dass manche uralten Überlieferungen im Reich der Märchen oder des Wunschdenkens ihre Wurzeln haben, aber in diesem Jahr hat – zumindest was die „Verheißungen“ für den deutschen „Sommer“ ahnen ließen – der 100-jährige Kalender mal Recht gehabt. Seine Prophezeiungen, dass die Sommermonate überwiegend nass, kühl und regnerisch werden und erst mit dem September ein wunderbar warmer, sonnenreicher Spätsommermonat bei uns Einzug hält, konnten wir auf spürbar angenehme und versöhnliche Weise erfahren.